Tag 1: Eichen säumen unseren Pfad im Chianti

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Von Carmignano nach Impruneta und Panzano

Der Morgen ist diesig und klamm und die Via Borgo San Frediano, durch die wir zum Parkhaus gehen, scheint ausschließlich von Hunden und ihren Herrchen besiedelt. Ein vereinzeltes „Buongiorno!“ dampft uns entgegen. Von Florenz aus, wo wir gestern noch Zeit für einen ausgiebigen Abendspaziergang und ein wunderbares Essen hatten, führt der Weg zunächst nach Carmignano in die Fattoria Ambra. Die DOCG Carmignano ist das kleinste Anbaugebiet Italiens, wird aber bereits namentlich in der Urkunde Cosimos III. de Medici erwähnt. Nur zwölf Produzenten teilen sich die knapp 120 Hektar Anbaufläche, auf denen zudem die Reben für die DOC „Barco Reale di Carmignano“ und die Roséwein-DOC „Rosato di Carmignano“ sowie den traditionellen Süßwein, den Vin Santo di Carmignano DOC stehen.

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Einer der zwölf Winzer ist Guiseppe Rigoli, der uns gemeinsam mit Susan Michahelles an diesem trüben Tag empfängt. Die kleine Fattoria Ambra liegt in einer Senke, rings um sie herum steigen die Weingärten – allesamt Einzellagen – zu sanften Hügeln an. Dabei wirkt die ganze Gegend noch sehr urban, denn von Florenz haben wir uns noch nicht deutlich genug entfernt.

Etwa 20 Hektar bewirtschaftet Guiseppe Rigoli, allein auf 14 davon wächst Sangiovese. Auf den verbleibenden sechs Hektar stehen die „uva francesa“, die französische Rebsorten genannten Merlot und Cabernet Sauvignon, letztere bereits von den Medici in diese Gegend gebracht, sowie heimische Rebsorten wie Canaiolo, Colorino, Pugnitello, San Colombano und Trebbiano.

Vor über 30 Jahren übernahm Winzer Rigoli nach dem Tod seines Vaters die Fattoria. Lieferte sein Vater den Wein noch an Händler, begann der Sohn, eigene Flaschenweine zu verkaufen. Aktuell produziert die Fattoria Ambra jährlich zwischen 80.000 und 90.000 Flaschen, von denen sie jedoch 60 Prozent im toskanischen Heimatmarkt absetzt. Ungewöhnlich für hiesige Weingüter, die normalerweise mehr vom Export als vom Absatz in Italien leben.

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Unterschiedliche Lagen statt einheitlicher Stilistik

Ob die DOCG Carmignano eine eigene Stilistik habe, will der Weinlakai wissen, und der eher zurückhaltende, sanft lächelnde Rigoli schüttelt nachsichtig mit dem Kopf. Nein, die Vorgaben der DOCG ermöglichten schon eine große Bandbreite der Cuvées, vor allem aber die ganz unterschiedlichen Lagen mit der Vielfalt an Rebsorten sprächen einfach dagegen. Und wie zum Beweis eröffnet er im Erdgeschoss der Kellerei die Verkostung.

Fattoria Ambra – Die Weine
Es ist der erste Termin unserer Dienstreise und wir bekommen direkt das ganze toskanische Programm auf den Tisch gestellt: Vom Weißwein (Trebbiano) über den erst in einer Woche abzufüllenden 2015er Rosato bis hin zu drei Roten und zu guter Letzt dem traditionellen Vin Santo. Die Qualität der Weine befindet sich durchgängig auf einem hohen Niveau – insbesondere gemessen an den dafür aufgerufenen Preisen. Man merkt schnell, dass man hier in einer toskanischen Gegend ist, die sich noch etwas „under the radar“ befindet. Daran kann auch die bereits 1716 statt gefundene Erwähnung nicht ändern. Ein Wein gefällt mit besonders gut: Der 2012er „Santa Cristina in Pilli“ besteht zu 75% aus Sangiovese, 10% Cabernet Sauvignon, 10% Canaiolo und 5% „anderen“ Traube. Er besticht durch eine wunderschöne kirsch-marzipanige Aromatik und präsentiert sich am Gaumen mit einer gewissen Rustikalität, die aber durch die Frucht gut abgefedert wird. Der Wein verfügt über die Sangiovese-typische, frisch anmutende Säurestruktur und einem langlebigen Tanningerüst. Und altern kann der Wein ohne Weiteres. Das beweist die von Giuseppe Rigoli eiligst herangeschaffte und etwas mühsam geöffnete Flasche des Weines aus dem Jahrgang 1994. Für einen Wein, der um die 12-13 EUR kostet, ein wirklich beeindruckendes Ergebnis.

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Mitgenommen von der Fattoria Ambra: 2012 „Santa Cristina in Pilli“ Carmignano DOCG

 

 

 

 

 

 

 

 

 

INFO

Videos: Für unsere Dienstreise in die Toskana haben wir uns einen audiovisuellen Zusatz ausgedacht und stellen jedem unserer Gastgeber die gleiche Frage: „Was ist für Sie ein guter Wein?“. Wir sind auf weitere Antworten in den kommenden Tagen gespannt!


Fattoria Ambra – Das Video

Es nieselt, fein aber hartnäckig, als wir in Richtung Panzano aufbrechen, mitten hinein in die Monti del Chianti zur Fattoria Le Fonti. Panzano, ungefähr auf halber Strecke zwischen Florenz und Siena liegend, hat seinen eigenen Ruf im Chianti – und zwar einen „Bio“-Ruf. Das idyllische Dorf hoch auf dem Hügel, auf dem die Kirche Santa Maria thront, erntete vor Jahren noch Schlagzeilen mit der höchsten Leukämie-Rate der Region. Dass dies auch mit dem Weinbau zusammenhängt, lag angesichts der Bedeutung des Weines in dieser Gegend auf der Hand. Andererseits machten es die Weinberge, die dicht an dicht, jeweils nur einen Windstoß von einander entfernt liegen, notwendig, ebenso zusammenhängend zu handeln. Mittlerweile sind die durchgehend Bio zertifizierten Weine aus Panzano ein Begriff im Chianti und die Initiative der Union Viticoltori auch Vorbild für andere Anbaugebiete.

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Ungeschminkter Chianti: Panzano und blühende Mandelbäume

Die Fattoria Le Fonti liegt unterhalb der Kirche Santa Maria, doch immer noch auf einer Höhe von rund 420 Metern. Direkt um die Fattoria herum gruppieren sich die einzelnen Weingärten, insgesamt nur gut neun Hektar, auf denen Sangiovese (rund sieben Hektar) sowie Merlot und Cabernet Sauvignon wachsen. Zwar ist Vicky Schmitt-Vitali, deren Familie 1994 das Weingut erwarb, verhindert und so haben wir das Vergnügen, Julia Harrington kennen zu lernen. Die Engländerin ist mit der Weinszene in Panzano seit Jahren bestens vertraut.

In der Kellerei finden sich neun Edelstahltanks, die es „Le Fonti“ erlauben, jede einzelne Charge aus den unterschiedlichen Lagen und mit den unterschiedlichen Reifezeitpunkten der Trauben einzeln zu vinifizieren. Die Reife der Weine findet in bereits verwendeten Barriques- und größeren Tonneau-Fässern statt. Dabei hält das Weingut noch an der alten Klassifizierung fest, bietet als noch keine „Gran Selezione“ an. Da wolle man erst einmal abwarten, schließlich hätten sich die IGT-Weine von Le Fonti sowie der DOCG Chianti Classico und der Riserva bereits ihr Renommee erarbeitet. Bei einer Jahresproduktion von maximal 60.000 Flaschen und angesichts des hohen Stellenwerts des Direktvertriebs stelle sich diese Frage für das Weingut noch einmal anders.

Bei unserem ersten Weingut im Chianti Classico zeigt sich auch gleich das Wetter versöhnlicher, will noch einmal zeigen, dass wir in der Toskana sind. Der Himmel zieht auf und sobald man in einer windstillen Ecke steht, spürt man die wärmende Sonne im Gesicht. Wir mögen uns kaum vorstellen, wie sich dieser Blick einen Monat später präsentiert. Bereits jetzt blühen vereinzelt die Mandelbäume. Aber letztlich zeigt sich der Chianti noch ungeschminkt, ohne den Prunk des Frühlings oder die Verlockung des Sommers. Um so stiller genießen wir die kurvige Fahrt zurück in Richtung Florenz nach Impruneta.

Aber das wichtigste Notat des Besuches bei Le Fonti steht noch aus – die Weine.

Fattoria Le Fonti – Die Weine
Hier probieren wir drei Rotweine. Den 2012er Chianti Classico, den Chianti Classico Riserva aus 2011 und den 2011er „Fontissimo“ IGT als „Super-Toskaner“ des Weinguts. Letzterer ist eine Cuvée aus Sangiovese, Merlot und Cabernet Sauvignon. Der Wein gefällt sehr gut, doch hier sind wir bereits in der 30-Euro-Klasse unterwegs und dafür bezaubert der Wein uns nicht ausreichend genug. Der 2011er Chianti Classico Riserva hingegen gefällt praktisch genauso gut, liegt preislich einen ganzen Schwung unter dem Super-Toskaner und ist eine wunderbar klassische Ausführung eines Riserva. Die 92% Sangiovese und die übrigen Prozente Merlot sowie Cabernet Sauvignon lassen den Wein typisch für die Region wirken. Die zwei Jahre im 500 Liter fassenden Eichen-Tonneau haben dem Wein eine gute Struktur verliehen,  ohne ihn aromatisch zu „verholzen“. Die Säure ist Sangiovese-typisch lebhaft und bildet einen tollen Konter zum Alkohol und dem präsenten Tannineindruck. Der Wein ist bereits gut gereift und lässt sich jetzt schön trinken, hat aber noch jede Menge Puste für die Zukunft. In 2-3 Jahren wahrscheinlich noch besser. Wie sagt man so schön? It’s a keeper!

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Mitgenommen von der Fattoria Le Fonti: 2011 Chianti Classico Riserva

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Fattoria Le Fonti – Das Video

Die deutsche Eiche – mal andersrum

In Impruneta sind wir mit Marco Ferretti von „La Querce“ verabredet, demjenigen, der seit 30 Jahren auf dem Weingut arbeitet und mit dieser Erfahrung und Kenntnis seit einigen Jahren La Querce erfolgreich führt. Der Name bedeutet „die Eiche“ und es war die alte Eiche direkt neben der Villa und der kleinen Kapelle, die dem Weingut den Namen gab. Drei Männer und eines Kindes, so Marco Ferretti, bedurfte es, diese alte Eiche zu umfassen. Als 1944 die deutsche Wehrmacht vor den anrückenden Alliierten die Toskana durchquerte, kam den Soldaten, deren Land doch so sehr mit der Eiche „vermythologisiert“ wird, die glorreiche Idee, die alte Eiche mit Sprengstoff zu fällen, um so die Straße zu blockieren, die daran bis heute vorbeiführt. Die toskanische Eiche leistete aber passiven Widerstand und kippte einfach zur falschen, der Straße abgewandten Seite um. Bereits in der 1980er Jahren pflanzte Ferretti mit seine Leuten eine neue Eiche im Garten der Villa. Diese ist mittlerweile so groß geworden, dass schon wieder deutsche Touristen sommers beeindruckt davor stehen.

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Auch „La Querce“ zählt nur acht Hektar Rebflächen – ohne die zwölf Hektar Oliven unterschlagen zu wollen. Marco Ferretti, der eher wie ein Literaturprofessor aus Bologna oder ein Verleger aus Mailand auf uns wirkt, führt uns hinter die Kellerei in das schmale Tal, in dem sich die Weingärten von  „La Querce“ ausbreiten. Nur rund 30.000 Flaschen produziert das Weingut pro Jahr, erfreut sich aber mit seinen Weinen in den Fachmedien ausgesprochen guter Bewertungen. Spontane Vergärung der Weine, biologische Bewirtschaftung der Rebflächen, eine möglichst unberührte Entwicklung der Weine, um bestmöglich das Terrain zu Geltung zu bringen, so lautet die Philosophie von Ferretti. Dabei weiß er auch die Vorteile zu schätzen, die ein IGT-Wein dem Weingut bringen kann, sofern man ihm glaubwürdig das Label „Super-Toskaner“ verpassen kann.

Wir freuen uns auf die Verkostung der Weine im kleinen Laden des Weinguts:

La Querce – Die Weine
Bei dieser Verkostung stechen uns insbesondere zwei Weine in die Nase bzw. den Gaumen: Der 2011er „La Querce“, der trotz 95% Sangiovese als IGT klassifiziert wurde und somit den Status eines „Super-Toskaner“ 
innehält. Und der an den Namen einer Nervenstörung mit Schimpfwort-Äußerungen erinnernder „La Torretta“ mit 90% Sangiovese- und 10% Canaiolo-Anteil. Der IGT wirkt nach dem zweiten Schluck aber irgendwie zu anstrengend, zu (extrakt-) süßlich. Zudem beschäftigt uns die Frage, ob ein IGT-Wein aus der Toskana für einige Konsumenten hochwertiger wahrgenommen wird als ein DOCG-Wein. Wir werden der Frage nachgehen, ob die geringere IGT-Klassifizierung sogar bewusst gewählt wird, um den Wein als „Super-Toskaner“ besser/teurer verkaufen zu können. Sei’s drum: Der 2013er „Torretta“ DOCG Colli Fiorentini wirkt dagegen geradezu erfrischend, balanciert und unaufgeregt. Gepaart mit einer vielschichtigen und wunderschönen Aromatik haben wir hier einen Wein im Glas, der uns im Laufe des folgenden Abends immer wieder ins Gedächtnis kommt und positive Assoziationen auslöst. Ein Zeichen? Der Wein des Tages? Die Blindprobe wird es beweisen müssen!

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Mitgenommen von La Querce: 2013 „La Torretta“ Chianti Colli Fiorentini

 

 

 

 

 

 

 

 

 

La Querce – Das Video

Bereits die ersten drei Weingüter der Dienstreise haben gehalten, was die Kleinteiligkeit der Landkarte versprochen hat. Wir haben unterschiedliche Terroirs besucht, sind ähnlichen Philosophien des Weinmachens begegnet, und haben dennoch eine große stilistische Vielfalt im Glas gehabt. Das verspricht viel für die kommenden Tage, mag aber auch als gelungene Einstimmung auf die Weine der Toskana gelten. Jetzt aber suchen wir erst einmal unser Domizil in der Umgebung von Greve auf, um die Eindrücke des Tages zu sortieren und uns vor dem Kamin auf den folgenden Tag zu freuen.

Der Streckenverlauf des heutigen Tages:

1 KOMMENTAR

  1. Schöne „Live“-Eindrücke! Die Riserva von Le Fonti, bei mir war es allerdings 2008, gefällt mir auch sehr. Ich freue mich schon auf die folgenden Tagebucheinträge. Viel Spaß noch!

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