Der Weinpapst im Interview: Robert M. Parker, Jr.

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Nicht ganz einfach war es, die Möglichkeit zu erhalten, dem wohl einflussreichsten Weinkritiker der Welt ein paar Antworten abzuringen. Nach langem E-Mail-Kontakt und mehrfachem Nachfragen, war es dann so weit: Im Folgenden möchte ich den Weinlakai-Lesern das Interview mit Robert Parker in ungekürzter Form vorstellen. Auch konnten drei eingereichte Fragen meiner Leser beantwortet werden. Viel Vergnügen beim Lesen!

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Weinlakai: Man kennt Sie nicht als Fan von deutschen Weinen. Mögen Sie Wein aus Deutschland?
Robert Parker: Ich liebe ihn. Da ich aber zu meinen Lebzeiten nur eine gewisse Anzahl von Weinen probieren kann, trinke ich vergleichsweise wenig deutschen Wein. Zudem bevorzuge ich Rotweine. Aber ich weiß natürlich, wie fabelhaft deutscher Wein sein kann.

Weinlakai: Können Sie sich daran erinnern, was Ihnen bei Ihrem ersten Schluck Wein durch den Kopf ging?
Robert Parker: Ich nehme an, es war der geballte Effekt von Weinen, die ich in den Jahren 1967 und 1968 probierte. Es war meine erste Begegnung mit trockenen Rot- und Weißweinen, und ich war nicht nur von diesem Getränk fasziniert, sondern auch von der Substanz des gesamten Themas. Ich war nie ein Biertrinker, das war mir immer zu füllend. Und Spirituosen haben mich nicht gelockt, da sie mir zu kraftvoll waren. Wein hat dann eine angenehme Nische eingenommen, da er wenig Alkohol hat und auf eine faszinierende Weise mit Essen zu kombinieren ist.

Weinlakai: War es immer Ihr Ziel, aus Ihrer Arbeit als »Wine Advocate« einen Hauptberuf zu machen?
Robert Parker: Ich bin ausgebildeter Rechtsanwalt und arbeitete auch noch als solcher als ich 1978 mit dem Wine Advocate begann. Es war aber von Anfang an meine Intention, als Weinkritiker/-journalist Vollzeit arbeiten zu können. Es war lediglich die Frage, wie lange es dauern würde, bis dies möglich wäre und ob genügend Resonanz seitens der Leser vorhanden sein würde, um meine Anstrengungen als lohnenswert bezeichnen zu können. Ich war zuversichtlich, dass ich damit erfolgreich sein könnte. Ich weiß nicht, ob ich das aus Naivität glaubte, aber der Erfolg stellte sich recht schnell ein, da ich den 1982er-Jahrgang im Bordeaux korrekt prognostizierte. Also nur vier Jahre nachdem ich mit dem Wine Advocate startete.

Weinlakai: Sie sind als Liebhaber von Weinen aus dem Châteauneuf-du-Pape bekannt. Sind es die Weine, zu denen Sie die größte Verbundenheit haben?
Robert Parker: Eigentlich liebe ich alle Weine aus dem Rhône-Tal. Diese und die Weine aus dem Bordeaux sind meine Lieblingsrotweine aus Frankreich. Ich mag aber die Schlichtheit und Redlichkeit der Winzer/Vignerons an der südlichen Rhône – insbesondere in der großartigsten der südlichen Appellationen, Châteauneuf-du-Pape. Es ist schwer, diese Weine nicht zu lieben. Aber die Grenache-Traube, die aus Spanien stammt, ist eine enorm unterbewertete Rebsorte, obwohl sie Weltklasse-Weine produziert. Zudem haben die Rhône-Winzer nie so viel Aufmerksamkeit wie andere französische Weinregionen bekommen, obwohl ihre bodenständige Bescheidenheit und Aufrichtigkeit etwas sehr Erfrischendes hat. Zu guter Letzt verfügen Châteauneuf-du-Pape und die umliegenden Appellationen Vacqueyras und Gigondas über das älteste Rebmaterial in ganz Frankreich. Die Weine sind sehr ursprünglich und unmanipuliert. Es ist die Essenz von fermentierten Trauben, entweder in neutralem Beton, in alten Holz-Foudres oder in Edelstahl-Tanks. Ich liebe diesen reinen, unmanipulierten und ungeschminkten Wein-Stil.

Weinlakai: Wie bewerten Sie den Effekt des Klimawandels auf Wein?
Robert Parker: Wegen der kurzen Lebensspanne eines Menschen ist es schwierig zu sagen, ob wir wirklich einen Klimawandel erleben oder ob dies nur eine zeitweise Laune der Natur ist. Falls der Klimawandel tatsächlich Fakt ist, und ich sehe mich nicht in der Position, dies zu beantworten, könnte er sowohl positive als auch negative Effekte haben. In den wärmeren Weinbaugebieten der Welt könnte es zu heiß werden (z. B. in Australien, Anm. von mir) und in den kälteren Gebieten würde das wärmere Wetter die Weinproduktion vereinfachen, da die Trauben schneller reiften. Natürlich könnten die Effekte verheerend sein. Meine Instinkte sagen mir auch, dass eine tiefgreifende Veränderung des globalen Klimas stattfindet, doch hoffe ich, dass diese nicht längerfristig ist.

Weinlakai: Welchen Rat haben Sie für Menschen, die ihre ersten Schritte in Hinblick auf Wein machen?
Robert Parker: Jeder, der sich für Wein interessiert, sollte darüber so viel lesen wie möglich und sich zudem Weinrunden zum Verkosten anschließen. Es gibt so viele kostenlose Informationen im Internet und viele ausgezeichnete Bücher über das Thema Wein – sowohl romantische Sichtweisen als auch strikte und ernste Einkaufsführer.

Weinlakai: Sie sprechen davon, dass Sie Weine immer vis-à-vis zu gleichgestellten Weinen bewerten. Was meinen Sie damit?
Robert Parker: Eine gleichgestellte Gruppe, eine »peer group«, sind etwa Weine aus dem Bordeaux, argentinische Malbec, rote Burgunder aus Frankreich, kalifornische Pinot Noir etc. Ich halte nichts davon, einen Bordeaux mit einem kalifornischen Cabernet Sauvignon oder einem argentinischen Malbec zu vergleichen. Ich denke, Weine sollten in sehr genau festgelegten Parametern beurteilt werden. Es ist unmöglich, eine intelligente Einschätzung zu treffen, wenn Weine verschiedener Rebsorten oder aus unterschiedlichen Regionen miteinander verglichen werden.

Weinlakai: Worüber muss ein Wein verfügen, um mit 100 Punkten bewertet zu werden?
Robert Parker: Perfekte Weine müssen über alles verfügen: Fülle, Komplexität, Ausgeglichenheit und das Potenzial gut zu reifen. Kurz gesagt: Sie müssen ausreichend Tiefe und Reichhaltigkeit haben, um einem Alterungsprozess von 10 bis 20 oder mehr Jahren standhalten zu können. Das Altern von Weinen bewirkt, dass die Frucht des Weins gemindert und diese durch komplexe Aromen und weichere Tannine ersetzt wird. Es ist kein Geheimnis, dass alterungsfähige Weine häufig die mit der größten Konzentration sind, aber sie müssen außerdem Balance haben, nichts darf fehl am Platz sein. Wenn die Tannine zu stark sind, der Säuregehalt zu hoch oder zu niedrig ist, die Frucht zu reif oder zu unreif ist, dann liegt keine Balance vor, und die Weine reflektieren dies.

Weinlakai: Bitte geben Sie uns Ihre Einschätzung zum Jahrgang 2009 im Bordeaux?
Robert Parker: Ich denke, 2009 im Bordeaux wird als Jahrgang in Erinnerung bleiben, der großartigen Cabernet Sauvignon im Médoc hervorgebracht hat. Ein solches Level an Reichhaltigkeit und Süße von Tanninen in den 2009er Cabernet Sauvignons habe ich während meiner 32+ Jahre noch nie in einem Bordeaux-Jahrgang feststellen können. Hinsichtlich der Preisgestaltung finde ich die von den Châteaux festgelegten Preise einigermaßen fair. Was dann passiert, ist die Spekulation und die Vielzahl von Ebenen, die ein Wein durchläuft, bis er schließlich beim Konsumenten landet. Dieser Prozess verursacht immense Gewinnspannen auf jeder dieser Ebenen. Bis die Endkunden dann die Chance haben, den Wein zu kaufen, ist der Preis durch die hohen Margen bereits um 200–400 % gegenüber dem Château-Preis gestiegen. Hinzu kommt, dass die weltweiten Spekulationen mit Weinen der 15–20 Top-Châteaux für aufgeblasene und gefährlich hohe Preisniveaus gesorgt haben. Im Großen und Ganzen glaube ich jedoch, dass die Châteaux in der Regel ihre Preise angemessen ansetzen. Ich würde es trotzdem gerne sehen, dass die Preise in nicht so starken Jahrgängen dramatisch gesenkt würden, um Konsumenten einen besseren Gegenwert zu bieten. Doch bin ich mir nicht sicher, ob dies je passieren wird, solange der Weltmarkt sie nicht dazu zwingt.

Weinlakai: Vor Kurzem haben Sie ihr öffentliches und enorm stark frequentiertes Internet-Forum nur noch für zahlende Abonnenten zugänglich gemacht. Bitte erklären Sie Ihre Beweggründe.
Robert Parker: Wir wussten, dass dieser Schritt bewirken würde, mehr als 50 % Prozent der Forumsmitglieder zu verlieren. Es war etwas, das wir schon sehr lange Zeit in Betracht gezogen hatten, da es eine zunehmende Polarisierung und unzivilisiertes Gebaren von Nicht-Abonnenten gab. Wir hatten viele Anfragen von Abonnenten, die sich diesen Schritt wünschten, um keine Leute mehr zu tolerieren, deren einziges Ziel war, böswillige Kritik zu üben, Rufmord zu begehen, zu desinformieren oder einfach nur zu stören. Diese Dinge gaben zwar viel Lesestoff, doch soll das Forum zivilisierte Diskussionen zum Thema Wein bieten. Es soll kein Klatschblatt sein. Mit dem Ergebnis der Entscheidung, das Forum »subscriber-only« zu machen, sind wir sehr zufrieden. Die reduzierte Plattform ist nun deutlich kultivierter, obwohl immer noch genauso viel Kritik wie früher vorhanden ist. Diese wird aber jetzt sehr viel höflicher und ziviler vermittelt. Wir haben keinerlei Beweggründe, wieder zu der öffentlichen Form zurückzukehren.

Weinlakai: Was sind die Pläne des Wine Advocate und erobertparker.com für die nahe und ferne Zukunft?
Robert Parker: Wir sind enorm engagiert mit unseren Inhalten und Verkostungsnotizen, das vergleichsweise beste Angebot für unsere Leser bieten zu können: insbesondere durch den Umfang, die Gründlichkeit, den Anstand und die Fairness unserer Berichte. Mit den hauptberuflichen Kritikern, die derzeit für den Wine Advocate arbeiten, haben wir das stärkste Team aller Zeiten. Auch wenn wir derzeit z. B. eine iPhone-App entwickeln, geht es beim Advocate nicht um Gimmicks oder Lifestyle, sondern um hochprofessionelle Inhalte.  Ich möchte in Zukunft mehr Video-Inhalte anbieten und wir verfolgen weiterhin eine starke Ausrichtung auf den sehr bedeutsamen, asiatischen Markt. Dort gibt es einen enormen Wissenshunger in Hinblick auf Wein – speziell in Ländern wie Südkorea, China, Japan, Taiwan, Singapur und in etwas geringerer Ausprägung in Thailand. Malaysia und Indien werden in den nächsten Jahren dazu kommen.

Weinlakai: Drei Fragen von meinen Lesern:
Können Sie die Dynamik des Reifeprozesses von Trauben beschreiben? Gibt es dafür eine Art Regel? Z. B. Wenn ein gewisser Grad von Tanninen, Säure, Frucht und Alkohol vorhanden ist, verläuft der Reifeprozess in eine gewisse Richtung!?
Robert Parker: Ich denke, der Reifeprozess variiert von Weinberg zu Weinberg und von Rebsorte zu Rebsorte. In Bezug auf Rotweine ist das Ziel, volle phenolische Reife zu erreichen. Die Tanninen müssen süß sein, die natürliche Säure darf weder zu hoch noch zu niedrig sein und es muss ein ausreichender Grad von Reife vorliegen, um die Weine nicht chaptalisieren zu müssen (mit Zucker anreichern zu müssen, Anm. von mir). Mir ist klar, dass dies in vielen Randgebieten nicht immer möglich ist, aber der ideale Reifeprozess wäre, wenn sich alle Komponenten des Weins in Balance befinden (Säure, Tannine und Extrakt). Bei Weißweinen geht um vollständige, phenolische Reife, ohne den unbedingt notwendigen Säuregehalt zu verlieren. Säure ist bei der Weißwein-Produktion deutlich wichtiger als bei Rotweinen. Bei Letzterem geben Tannine und Struktur dem Wein Präzision und Frische. Nur wenige Weißwein-Sorten besitzen Tannine und so ist die Säure wichtig, damit der Wein gesund und wohldefiniert bleibt.

Ist es nicht selbst als professioneller Verkoster kaum möglich, Weine ohne Einfluss von persönlichen Stimmungen oder gewissen Situationen zu bewerten?
Robert Parker: Es mag für Weinkonsumenten schwer zu verstehen sein, aber ich kann aufrichtig sagen, dass ich jeden Wein ohne jeglichen Einfluss von Vorurteil oder Voreingenommenheit verkosten kann. Es ist dabei egal, ob der Wein von einem berühmten Weingut in Bordeaux, Burgund oder Kalifornien stammt, oder ob der Wein seit zwei oder 200 Jahren produziert wird. Ich verkoste einfach den Inhalt des Glases und schreibe darüber. Anders kann es nicht sein. Die Tatsache, dass ich seit 32 Jahren damit enorm erfolgreich bin, ist ein Beleg dafür, dass die meisten Leute dies anerkennen.

Mir ist bekannt, dass Sie eine Passion für Armbanduhren haben. Welches sind Ihre Lieblingsuhren?
Robert Parker: Ich habe in der Tat eine Passion für Uhren, sie ist allerdings auch eine Schwäche. Es gibt so viele großartige Uhrenhersteller, dass es schwerfällt, nur einen einzigen herauszuheben. Mit Sicherheit gehört IWC zu meinen Top-Favoriten, gefolgt von Lange und Söhne. Ich könnte aber ohne Weiteres noch andere, kunsthandwerkliche Uhrenhersteller nennen, die traumhafte Uhren herstellen. Z. B. Girard-Perregaux, Roger Dubuis, Audemars Piguet, Patek Philippe und Breguet. Die Simplizität und der Symbolismus von Uhren hat einfach etwas. Wir marschieren alle zu dem Takt der Zeit, und dies macht eine Uhr vielleicht zu einem so ausgezeichneten Symbol für das Leben an sich.

Danke für Ihre Zeit, Mr. Parker.

1 KOMMENTAR

  1. Hallo Tobias,

    nettes Interview, interessante Aussagen.

    Nur die Antwort auf die Frage, …

    ..Ist es nicht selbst als professioneller Verkoster kaum möglich, Weine ohne Einfluss von persönlichen Stimmungen oder gewissen Situationen zu bewerten?

    nehm ich ihm nicht ab.

    Wo hat das Interview stattgefunden, zu welcher Zeit,bei welcher Gelegenheit ,bei welchem Wein, etc. ? 🙂

    Vielleicht treffen wir uns mal wieder zu einer Verkostung bei Guido, dann kannst Du mir
    ggf. die Frage beantworten.

    Gruß
    Ari

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